Am Anfang war das Rotkäppchen (Jungweinprobe 2012)

Es gab da mal einen Spruch der sich auch hier anpassen lässt: Freyburg ist halb so groß wie der größte Friedhof von Chicago, aber doppelt so tot. Freyburg ein kleiner Ort an der Unstrut, der praktisch von zwei Dingen lebt. Wein und Sekt. Neben einigen passablen Weingütern gibt es nämlich  die Rotkäppchen Sektkellerei, welche die Republik mit ihrem gleichnamigen Sekt beglückt. An ihrem typischen Schriftzug über den grünen 0815 Industriegebäuden schon von weitem gut zu erkennen.

Wer sich, so wie ich, davon nicht abschrecken lässt, landet in einem ziemlich ansehnlichen Gebäudeensemble aus dem 19. Jahrhundert, dem Hauptgebäude der Sektkellerei. Und hingehen sollte man mindestens aller zwei Jahre, denn da findet nämlich genau an diesem Ort immer die Jungweinprobe der Gebiete Saale-Unstrut und Sachsen statt. Die ProWein des Ostens, sozusagen.

Da sich die Region Saale-Unstrut sehr um Paddelfreunde kümmert, gibt es genügend Bootsanlegestellen. Kein Problem für den Schiffsjungen, mich mit dem Beiboot vor Ort abzusetzen.
Denn das Timing ist äußerst wichtig. Nach drei Stunden Verkostungszeit für die Profis, werden die Schleusen für das Volk geöffnet. Spätestens dann sollte man schleunigst das Weite suchen.

Licht am Ende des Tunnels

Es geht um den Jahrgang 2011. Nach dem Pleitejahrgang 2010 nicht einfach nur ein Licht am Ende es Tunnels, sondern ein Flakscheinwerfer! Endlich!
Alle mehr oder weniger relevanten Winzer von Saale-Unstrut und Elbe sind wenigstens mit einer Auswahl ihrer Weine vor Ort. Wobei das für Sachsen nicht ganz stimmt. Zimmerling, Aust und Schwarz lassen sich nicht blicken und sorgen dafür, dass sich zumindest die Spitze aus dem Elbtal nicht ganz so transparent darstellt wie gewünscht.
Nun gut. Die Eröffnung durch die Verbandsnomenklatur und die obligatorischen Weinköniginnen und deren Prinzessinnen geht erfreulich schnell. Das mag auch daran liegen, dass der „singende Weinbotschafter“ Gunther Emmerlich keine Zeit oder Einladung fand. Um so besser, 230 Weine in drei Stunden sind das (theoretische) Tagesziel.

Das konservative Image der Ostweine, nach außen durch Winzerpaare um die 60 im Trachtenjanker symbolisiert, ist immer noch präsent. Weinpunks sind auch für die nähere Zukunft kein Thema, dennoch tut sich was. Die Youngster kommen endlich. Tim Strasser aus Meißen war ja hier an Bord schon Thema. Damals noch als Fassproben, hat der Stoff noch mal richtig zugelegt. Ein knackiger Müller-Thurgau, meine Herren. Matthias Hey aus Naumburg holt aus seinen 3,5 Hektar vom Naumburger Steinmeister Riesling und Weißburgunder Weine heraus, die es locker mit den alten Hasen aufnehmen können. Gebt ihm bitte mehr Rebfläche!
Als sichere Bank ist Bernard Pawis aus Zscheiplitz bei Freyburg unter anderem mit einem sehr schönen, saftigen Riesling am Set. Nicht zu fruchtig, aber mit ordentlich Säure und Kieselsteinen zwischen den Zähnen. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, bitte klaut ihm die Plastikkorken für seine Gutsweine. Die gehören da nicht hin!

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Von einem ähnlichen Kaliber, aber vielleicht sogar noch einen Trick besser haben mir Rieslinge von Klaus Böhme aus Kirchscheidungen und von Schloss Proschwitz aus Zadel gefallen. Es wird enger an der Spitze.
Auch schön, die Weißburgunder. Nette, cremige Säureschmeichler von Jan Ulrich aus Diesbar-Seußlitz, Weingut Drei Herren Radebeul und Andreas Henke aus Weinböhla. Keine einzige Gräte war aber in der Karsdorfer Hohe Gräte von Uwe Lützkendorf aus Bad Kösen zu finden.

Blumen und Steine im Glas

Endlich wieder Blumen. Nein, Blumenmeere bei den Traminern. Frédéric Fourré aus Radebeul, Schloss Proschwitz und Klaus Böhme bringen diesmal sehr frische, fruchtige Traminer mit dem Besten aus der hauseigenen Mineraliensammlung in die Flasche.
Den Vogel hat aber doch Uwe Lützkendorf abgeschossen oder besser gezündet. Sein Traminer Karsdorfer Hohe Gräte Auslese zeigt was hier inzwischen geht. Aromatechnisch kann hier jeder Blumenladen einpacken. Top! Mit der Flasche hätte ich mich gerne allein in die kühlen Kellergewölbe zurückgezogen.

Auch wenn mir bei diesem Marathon eventuell der eine oder andere Kandidat durch die Lappen gegangen sein könnte, einen wirklich grottenschlechten 2011er Wein habe ich zumindest auf dieser 22. Jungweinprobe nicht gefunden. Dennoch gibt es fühlbare Unterschiede. Bei den oben genannten konservativen Weingütern fehlt oft der Biss um sich von der Masse absetzen zu können, absetzen zu wollen. Einige kleinere Weingüter haben die guten Bedingungen des Jahrgangs offenbar zu stark in Versuchung geführt, an die Grenzen zu gehen. Will sagen, ihre Weine so „halbtrocken“ wie nur möglich ausgebaut um zu offensichtlich den Massengeschmack zu bedienen. Das Ergebnis sind Weine die zwar im besten Fall nett, aber oft sehr aufgesetzt wirken.

Top of the Pops

Die Spitze wird in diesem Jahr breiter. Zu meinen Favoriten zählen sicher Weingut Papis, Klaus Böhme, Winzerhof Gussek, das Thüringer Weingut Zahn für Saale-Unstrut. Der Newcommer in der Liste ist das Weingut Hey.
Auch wenn die Sachsen ein paar Topspieler zu Hause „vergessen“ haben, sollte man Schloss Proschwitz und Frédéric Fourré, den frischen Franzosen aus Radebeul im Visier behalten.
Mein persönlicher Favorit war aber Uwe Lützkendorf aus Bad Kösen. Im Gegensatz zu einem Großteil der Konkurrenz größtenteils als Fassprobe vertreten, zeigt er durch die Bank wo im Osten der Hammer hängt. Wenn das so weiter geht, besteht Hoffnung die volksmusikartige Aura der Weine aus dem Osten hoffentlich bald loswerden zu können.

Nachdem die Pflicht, also die Basisweine, längst in Haus-, Hof- und Weinfesten angekommen sind, ist nun Zeit für die Kür. Weine, denen man Zeit lassen durfte, auch die echten Spät- und Auslesen kann man jetzt endlich habhaft werden. Dies gilt auch für jene Winzer, die sich bei der Jungweinprobe rar machten. Zimmerling und Aust beispielsweise, haben mit dem Jahrgang 2011 wieder sehr überzeugende Kollektionen aus dem Keller geholt.
Wer sich lieber diesseits von einfachen Goldriesling und Müller-Thurgau aus Neufünfland zu Hause fühlt, sollte sich zum Winzer oder Weinhändler seines Vertrauens aufmachen. Jetzt!

(Dieser Artikel ist so oder in ähnlicher Form vorher auf captaincork.com erschienen.)



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