Help the Aged
Ach, es ist doch schön hier im Elbtal. Ich habe meine Ruhe. Der Captain wirft höchstens mal eine halbvolle Flaschenpost aus dem Zug, wenn er wieder mal zwischen Berlin und Wien unterwegs ist. Den anderen Maaten ist es in die Ostzone sowieso zu weit. Wenn schon gen Osten, dann ins Burgenland. Da ist es wärmer und man versteht wenigstens die Sprache.
Also habe ich den Wein für mich allein. Und das Beste daran ist, er ist gar nicht mal schlecht. Nach einigen ziemlich beschissenen Jahrgängen in der Menge und noch mehr in der Qualität, ist seit 2011 alles wieder im Lot. Die Trauben aus 2011 waren von einer Qualität, dass selbst Praktikanten nicht viel hätten falsch machen können. Ähnlich ist es nun auch in 2012 gelaufen. Nur an der Menge hapert es diesmal hier und da. Mal wieder. Gut, dass sind wir ja inzwischen gewöhnt.
Ergo, alle Winzer grinsen über sämtliche Backen. Es wird nicht genörgelt oder rumgejammert. Warum auch? Man hat nicht nur sich, sondern auch die Weingüter schön her- und eingerichtet.
Beim Winzer den Arsch breit sitzen
Und dort kann man sich als Weintrinker oft auch gut niederlassen. Man sitzt nicht immer bequem, fühlt sich aber wohl und hat nicht selten einen grandiosen Ausblick in oder über das Elbtal.
Das ist ziemlich entspannend. So entspannend, dass sogar ein Müller-Thurgau hin und wieder richtig gut schmeckt. Echt jetzt.
Dieses Ambiente mögen nicht nur Einheimische, sondern ganz besonders Touristen. Also kommen die Kunden in Strömen und reißen die frischen Weine aus den Regalen. Und zwar so schnell, dass manch ein Winzer den Wein des Jahrgangs 2012 schon Anfang November in die Flasche gebracht, also abgefüllt hat. Man begründet das gerne mit der Angst davor, dass die Kunden im Weihnachtsgeschäft vor leeren Regalen stehen. Oder man nennt es einfach Trend. Den Jungweintrend.
Man ist also zufrieden und klopft sich gegenseitig so kräftig auf die Schultern, dass manche Winzer und Weinbaufunktionäre schon Tennisarme haben.
Dicker Hintern, kleiner Kopf
Also alles wunderbar? Mitnichten. Denn gar nicht mal schlecht ist noch lange nicht richtig gut. Jedenfalls nicht in der Breite.
Mit etwas gutem Willen kann man es wie der GaultMillau beschreiben:“Klare Dominanz an der Spitze.“ Aber die Spitze ist klein, sehr klein. Im Weinanbaugebiet gibt es höchstens eine Hand voll Erzeuger die über die Grenzen des Elbtals herausragen. Dazu kommt maximal die gleiche Anzahl Aufsteiger, auf die man in Zukunft Hoffnungen setzen darf. Das war’s dann schon.
Immerhin kämpft dieses kleine Grüppchen der Aufrechten für das Image des sächsischen Weines. Man macht möglichst einen Bogen um exotische Flaschenformen und Sonderetiketten, konzentriert sich lieber auf den Flascheninhalt.
Das Ergebnis sind oft solide Basisweine bis hin zu – so der Jahrgang mitspielt – erfreulichen Auslesen oder gar Eisweinen.
Die qualitative Spitze kontrolliert nur etwa zehn Prozent der sächsischen Rebfläche von knapp 450 Hektar. Mehr geht zurzeit nicht. Auch deshalb nicht, weil die Flächen begrenzt sind. Den Rest teilen sich meist Kleinst- und Hobbywinzer. Hier orientiert man sich zwar auch hin und wieder an der Spitze, meistens aber nur bei den Preisen.
Sollte man also zufrieden sein und das nehmen was man bekommt. Auch wenn einige Kritiker von einer gewissen Austauschbarkeit der Kollektionen reden.
Mehr geht einfach nicht? Das Klima, die schwierigen Bedingungen, Steillagen, östlichstes Weinanbaugebiet Deutschlands. You know?!
Keine Bitches die von einer schäumenden Prüfkommision unter den Rufen „GEBIETSUNTYPISCH!“ aus dem Raum gejagt werden? Illusion, dachte ich bisher.
Bis ich vor einiger Zeit bei Karl-Friedrich Aust in Radebeul saß und meine Nase in ein Glas Weissburgunder steckte. Aust eine der Ausnahmen unter den Ausnahmen. Er probiert, er experimentiert. Das hätte er gar nicht nötig, weil er inzwischen längst angekommen ist. Aber er macht es. Das klappt nicht immer, wie beim Chéri zum Beispiel. Einer Cuvée aus Riesling und Grauburgunder, die wie ein Sherry vinifiziert wurde. Lassen wir das.
Eine MILF aus Radebeul
Der Weissburgunder ist aus dem Jahr 2008, ausgebaut im Barrique. Allein das ist schon eine Offenbarung unter den Jungweinfetischisten, deren Weine oft nicht älter werden als eine Weihnachtsgans. Ein Stinker, kein Everybody’s Darling. Sächsischer Landwein, wie fast immer beim Aust. Unmengen an reifem Käse. Wer einmal die Nase in einen gutsortierten französischen Käseladen gesteckt hat, der weiß was ich meine. Nachdem man den Geruch ausgiebig inhaliert hat, zieht es das Glas zum Mund.
Nüsse auf der Zunge, klar. Auch ein paar für Weissburgunder typische Äpfel. Allerdings nicht als zerkochtes Kompott, sondern fein und sehr cremig eingebunden. Und zum Abschluss ein furztrockender Abgang. Keine Marmelade, kein Gelee, trocken wie der Witz von Robert Gernhardt. Eine MILF aus Radebeul bei Dresden. Ich bin begeistert.
Es geht also. Sächsischer Wein kann polarisieren, nicht nur beim Preis-Leistungs-Verhältnis. Endlich ein Wein aus Sachsen den ich im Schiff auf den Tisch stellen und rufen könnte: „Hier Leute, fresst!“
Mach ich aber nicht, den behalte ich für mich allein. So ist es wirklich schön hier im Elbtal.
(Dieser Artikel ist so oder in ähnlicher Form vorher auf captaincork.com erschienen.)
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